Die Kreislaufwirtschaft erscheint zunehmend als glaubwürdige Alternative zum derzeitigen Wirtschaftsmodell und gibt Hoffnung für die Bewältigung der Klimakrise. Sie strebt einen tiefgreifenden Mentalitätswechsel in der Art und Weise, wie Waren und Konsumgüter produziert werden, an. Gleichzeitig wird die Kreislaufwirtschaft als weniger radikal als Degrowth angesehen, und könnte daher viele Unternehmen überzeugen, die neben den ökologischen Vorteilen, die sie mit sich bringt, auch eine Chance sehen, sich von der Masse abzuheben.
Wie ist dieses Konzept zu verstehen? Ist es eine Lösung, mit der man beim ökologischen Wandel einen echten Unterschied machen kann? Wie verbindet es sich mit dem Zero Waste-Ansatz? Viele Hoffnungen werden auf jeden Fall in diesen Ansatz gesetzt, den wir hier aufschlüsseln.
Ausbruch aus dem vorherrschenden Modell
Unsere Wirtschaft beruht weitgehend auf dem Modell der linearen Produktion. Es basiert auf der Illusion, dass die Ressourcen unbegrenzt sind, und bildete den Rahmen, in dem die „Trente Glorieuses“ und der daraus resultierende materielle Wohlstand entstehen konnten. So wurde die Produktion materieller Güter jahrzehntelang als ein Vorgang betrachtet, der lediglich aus Gewinnung, Herstellung, Nutzung und Entsorgung besteht. Die heutige Produktion der meisten materiellen Güter funktioniert noch immer nach dieser Logik. Unternehmen entnehmen der Erde Mineralien, Metalle, Biomasse und fossile Brennstoffe, verarbeiten sie zu Industrieprodukten und verkaufen sie an Verbraucher, die sie früher oder später entsorgen.
Wir wissen heute, dass dieses Modell – wenn man Produktion und Konsum als zwei Seiten derselben Münze sieht – die Zukunft unseres Planeten ernsthaft bedroht und das natürliche Gleichgewicht, das die Erde beherrscht, zunehmend unhaltbar belastet. Ein Konzept hilft uns, dies zu verstehen. Es handelt sich um die planetaren Grenzen, wie sie 2009 von einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern festgelegt wurden. Diese Grenzen sind Schwellenwerte, bei deren Überschreitung die Gefahr besteht, dass die Erde in einen Zustand kritischer Instabilität gerät. Es gibt neun solcher Grenzwerte: Klimawandel (CO2-Konzentration in der Atmosphäre), Einführung neuer Stoffe in die Umwelt (synthetische Moleküle, Nanopartikel), Erosion der Artenvielfalt, Störung der Stickstoff- und Phosphorzyklen (Landwirtschaft, Viehzucht), Veränderung der Landnutzung (Entwaldung), Versäuerung der Ozeane, globaler Süßwasserverbrauch, Abbau der Ozonschicht und Konzentration atmosphärischer Aerosole (Feinstaub).
Sechs dieser Grenzen sind schätzungsweise heute bereits überschritten1, und zwar aufgrund unseres Lebensstils, der gleichbedeutend ist mit übermäßigem Konsum, Übernutzung, Überproduktion… Es ist also dringend notwendig, das Modell zu ändern.
Eine glaubwürdige Alternative, die sich an der Natur orientiert.
Die Kreislaufwirtschaft beschreibt eine Art der Güterproduktion, die sich an der Funktionsweise natürlicher Ökosysteme orientiert, in denen nichts verloren geht, da die Bestandteile des Lebens (Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasser, Stickstoff, Phosphor) ständig wiederverwertet werden. Sie beruht auf Regeneration. „Es gibt keinen Reichtum außer dem Leben“, so formulierte es bereits der englische Schriftsteller John Ruskin2 (1860) in einem seiner Werke, für den die von der Sonne gespeiste Regenerationskraft des Lebens die einzige Form von Reichtum ist, die über die Zeit hinweg bestehen bleibt. Die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft wurde vereinfacht, indem man lernte, Materie und Energie so weit wie möglich wiederzuverwenden, so wie es unsere Grosseltern schon machten.
Nur 13% der Produkte, die in der Schweiz konsumieret werden, sind aus recycelten Materialien hergestellt und unser Land hat die höchste Pro-Kopf-Abfallmenge. Es werden immer noch zu viele Ressourcen verschwendet und die Kreislaufwirtschaft wird zu oft nur unter dem Gesichtspunkt des Abfallrecyclings betrachtet, während andere Prinzipien wie Renovation, Reparatur, Wiederverwendung oder Teilen vernachlässigt werden.
Recycling allein wird nicht ausreichen. Um dies zu verdeutlichen, sei darauf hingewiesen, dass die Wachstumsrate des Ressourcenverbrauchs die Zirkularität einer Wirtschaft bestimmt. Verschiedene Materialien werden erst nach einer „Verweildauer“ in der Wirtschaft recycelt, die von Produkt zu Produkt variiert, aber mehrere Jahrzehnte betragen kann. Bei einer jährlichen Wachstumsrate von über 1% (wie in der Schweiz) macht der Anteil des recycelten Materials zum Zeitpunkt seiner Wiederverwendung nur einen relativ geringen Teil des verbrauchten Materials aus.
Daher ist es notwendig, das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit zu schärfen, um eine Verhaltensänderung einzuleiten. Die amerikanische NGO Global Footprint Network schlägt in diesem Sinne einen Indikator vor, den Earth Overshoot Day, der das Datum des Jahres berechnet, ab dem die Menschheit alle erneuerbaren Ressourcen verbraucht hat die der Planet in einem Jahr produzieren kann und um die produzierten Abfälle, darunter CO2, zu absorbieren. Nach Schätzungen der NGO hat die Schweiz diesen symbolischen Tag am 13. Mai 2023 erreicht und lebt seit diesem Tag auf Kredit. Wenn alle Menschen auf der Welt so viel verbrauchen würden wie die Menschen in der Schweiz, wäre bereits alles verbraucht, was die Ökosysteme unseres Planeten in einem ganzen Jahr erneuern können.
Eine Chance für KMU
Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft kann auf zwei Ebenen erfolgen: durch politische Begleitung über die Einführung von Regeln und/oder Anreizen, mit denen die Rahmenbedingungen gesetzt werden. Dies tut der Bund bereits – wenn auch in bescheidenem Umfang – mit Verbänden wie Circular Economy Switzerland, der Regionalentwicklungsplattform regiosuisse oder Reffnet, einem vom Bund unterstützten Schweizer Netzwerk für Ressourceneffizienz.
Auch das Parlament hat sich mit dem Thema befasst. Der Nationalrat hat im Mai 2023 den Entwurf zur Revision des Umweltschutzgesetzes (USG) angenommen. Diese Revision enthält mehrere Bestimmungen, die die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz fördern sollen. Sie sieht auch vor, die geplante Obsoleszenz zu bekämpfen, indem Anforderungen an die Lebensdauer und die Reparierbarkeit von Produkten gestellt werden. Die Initiative sieht ausserdem vor, dass der Bausektor das Recycling von Ressourcen verbessert. Bevor die Vorlage in Kraft treten kann, muss sie noch vom Ständerat abgesegnet werden.
ZeroWaste Switzerland ist Teil der Bewegung:
Die zweite Handlungsebene liegt bei den KMU selbst, da diese die Mehrheit des Schweizer Wirtschaftsgefüges ausmachen. Es ist wichtig, Wege zu finden, um sie dazu zu anzuregen, sich in diese Richtung zu bewegen. Diese Aufgabe hat sich die Fabrique Circulaire gestellt, eine von dss+4 in Genf gegründete Plattform, die darauf abzielt, KMU bei ihrem Transformationsprozess zu begleiten. Zu diesem Zweck hat sie im Jahr 2021 ein Begleitprogramm im Kanton Genf gestartet. Rund 15 Unternehmen wurden ausgewählt, deren Branchen vom Baugewerbe über die verarbeitende Industrie bis hin zur Lebensmittel-, Energie- und Dienstleistungsbranche reichen. Diese Unternehmen wurden 18 Monate lang intensiv bei der Umsetzung von operativen Projekten der Kreislaufwirtschaft begleitet. Die gleiche Initiative wurde 2023 im Kanton Waadt gestartet. Das erhoffte Ziel ist ein Schneeballeffekt auf andere KMU. „Die Unternehmen engagieren sich für die Umwelt, aber auch, weil die Kosten der Untätigkeit vor dem Hintergrund der Knappheit an fossilen Energien und Rohstoffen zu hoch werden. Viele Akteure werden, wenn sie nichts tun, in fünf Jahren nicht mehr existieren“, analysiert Charlotte Jacquot, die Leiterin des Programms3
Ein notwendiger Mentalitätswandel
Um sich durchzusetzen, muss sich die Kreislaufwirtschaft auf einen tiefgreifenden Mentalitätswandel stützen können.
Sie muss den gesamten Lebenszyklus von Materialien und Produkten abdecken: Abbau, Design, Produktion, Vertrieb, weitere Nutzung und schliesslich Recycling. Ausserdem muss sie sich auf Materialien verlassen können, die getrennt gesammelt und recycelt werden, um hochwertige Sekundärstoffe wie PET oder Aluminium zu erzeugen, die dann vermarktet und für die Herstellung neuer Güter verwendet werden können. Dies bedeutet, dass Schadstoffe beim Sammeln und Recyceln entfernt und aus dem Stoffkreislauf entfernt werden. So können Primärrohstoffe im Produktionsprozess durch Sekundärrohstoffe ersetzt werden, die aus dem Recycling und der Verarbeitung anderer Rohstoffe stammen.
Schon im Vorfeld bei den Herstellern darauf hinzuwirken, dass bei der Produktion möglichst viele natürliche Ressourcen geschont werden, ist nicht einfach. Dies wird als Ökodesign bezeichnet. Produkte sollen so gestaltet werden, dass sie weniger Material benötigen, durch Wiederverwertung oder Reparatur eine längere Lebensdauer haben oder recycelbar sind.
Die Cradle to Cradle (C2C)-Methode (von der Wiege zur Wiege) ist der Vision der Kreislaufwirtschaft sehr ähnlich, aber spezifischer (die Kreislaufwirtschaft ist systemischer und Teil eines umfassenden Umdenkens in Bezug auf Wirtschafts- und Industriemodelle). Sie wurde Anfang der 2000er Jahre von zwei Wissenschaftlern4 entwickelt und zielt darauf ab, nachhaltige Produkte und Systeme zu schaffen, indem sie sich von natürlichen Prozessen inspirieren lässt, die Kreislauffähigkeit von Materialien fördert und den Schwerpunkt auf Sicherheit und Regeneration legt. Sie wird von einer Zertifizierung begleitet, die garantiert, dass ein C2C-Produkt recycelbar ist und keine schädlichen Rohstoffe enthält. Beispiele für C2C-zertifizierte Produkte finden sich in der Papier-, Tinten- und Verpackungsindustrie (wiederverwendbare Behälter).
Zero Waste und Kreislaufwirtschaft
Der Zero Waste-Ansatz – in der Form wie er von ZeroWaste Switzerland vertreten wird – ist ein komplementärer Ansatz zur Kreislaufwirtschaft. Er trägt dazu bei, ein positives Signal an veränderungswillige Unternehmen zu senden. Indem er sagt, dass man eine Konsumweise anwenden sollte, die Abfall beseitigt, bereitet sie den Weg für ein System, das auf mehr Zirkularität beruht.
Letztendlich unterscheiden sie sich zwar im Ziel – die Kreislaufwirtschaft versucht in erster Linie, die vorgelagerte Produktionskette zu beeinflussen, während der Zero Waste-Ansatz auf die Verbraucher abzielt -, aber beide arbeiten auf das gleiche Ziel hin: die Rückkehr zu Bedingungen, die die Zukunft unseres Planeten und seiner Bewohner sichern und die Einhaltung der planetaren Grenzen gewährleisten.
Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass eine hundertprozentige Kreislaufwirtschaft eine Utopie ist, genauso wie das Streben nach dem Perpetuum mobile in der Physik seinerzeit eine Utopie war. Kein industrieller Kreislauf kann seine Materialien zu 100 % zurückgewinnen und wiederverwenden. Die Zeit wirkt sich auf alle Materialien aus, sowohl auf organische als auch auf hergestellte, und hinterlässt ihre Spuren auf Metallen (Korrosion), Kunststoffen (Zersetzung) usw. Die Kreislaufwirtschaft eröffnet jedoch ermutigende Perspektiven und ihre Einführung, wo immer möglich, ist ein weiterer Schritt in Richtung des Wandels.
Beispiel
Die Schweizer Druckerei Vögeli AG hat 2019 die Cradle to Cradle®-Zertifizierung für ihre Druckerzeugnisse erhalten: Visitenkarten, Broschüren, Bücher und Verpackungen werden aus 100% recycelten und recycelbaren Materialien hergestellt und können somit sicher in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden.
Da das Ziel der Cradle to Cradle® -Zertifizierung darin besteht, nur gesunde Stoffe in einem Produkt zu vermischen, musste das Unternehmen geeignete Lieferanten und Materialien finden, um die Rückstände giftiger Stoffe, die in wiederverwendeten Materialien (z. B. Tinte) vorkommen, zu entfernen und Ersatzstoffe für Materialien zu finden, die nicht recycelt werden können und normalerweise als Abfall auf Mülldeponien landen: Füllstoffe, Klebstoffe, Farbstoffe, Lacke. Das Ergebnis ist ein Unternehmen, das die Herausforderung gemeistert hat, „so zu drucken, wie die Natur es tun würde“, wie es die Unternehmensleitung gerne sagt.
Quelle: https://circularhub.ch/fr/magazine/details/gesunde-druckprodukte-lohnen-sich0
Weiterführende Informationen
Sites web
- La Fabrique Circulaire : https://lafabriquecirculaire.ch
- Bundesamt für Umwelt (BAFU): https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wirtschaft-konsum/fachinformationen/kreislaufwirtschaft.html#479205243
- Greenpeace : https://www.greenpeace.ch/de/lang-leben-unsere-produkte/
- Ellen McArthur Foundation : https://ellenmacarthurfoundation.org/topics/circular-economy-introduction/overview
- « Circularity Gap Report », rapport d’Economy Switzerland et Deloitte Suisse : https://www2.deloitte.com/ch/en/pages/risk/articles/circularity-gap-report-switzerland.html
Bücher:
- Berlingen F., « Recyclage : le grand enfumage », Paris, Rue de l’échiquier, 2020
- McDonough W. et Braungart M., “Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren – Piper, 2014
- Raworth K., « La Théorie du Donut, l’économie de demain en 7 principes », Paris, J’ai lu, 2018
- Es handelt sich um die Grenzen des Klimawandels, der biologischen Vielfalt, der Stickstoff- und Phosphorzyklen, der Entwaldung, des Süsswassers und der Einführung neuer Stoffe in die Umwelt. ↩︎
- Ruskin J., „Il n’y a de richesse que la vie“ (Es gibt keinen Reichtum außer dem Leben), Paris, Le Pas De Côté, 2012. Ein Buch, in dem Ruskin die Grundlagen der Wirtschaft in Frage stellt und das zu einer Inspirationsquelle für viele antikapitalistische Denker wurde. ↩︎
- Zitiert in Tarby J., „Quand l’industrie genevoise se renforce grâce à … l’économie circulaire“ (Wenn die Genfer Industrie dank … der Kreislaufwirtschaft gestärkt wird), Heidi News, 20. Juni 2023. ↩︎
- Die Methodik wurde 2001 von den Professoren Michael Braungart und William McDonough entwickelt und als Inspirationsquelle für Produkte, Gebäude und Produktionssysteme genutzt. ↩︎