Die Sharing Economy: Ein Baukasten für eine nachhaltige Zukunft in der Schweiz
Haben Sie sich schon einmal die Zeit genommen, Ihre Sachen auszusortieren und dabei Gegenstände wiederzuentdecken, die in Ihrem Schrank, Keller oder bei Ihren Eltern vergessen wurden? Dinge wie eine Campingmatratze, ein Monopoly-Spiel, ein Fondue-Set oder ein Zelt, die oft “für alle Fälle” aufbewahrt werden, aber schliesslich unsere Räume vollstopfen, ohne dass wir es bemerken.
Mit dem Aufkommen der Kreislaufwirtschaft ist die Sharing Economy ein integraler Bestandteil dieses Modells, das an eine Zeit erinnert, in der die ständige Erneuerung nicht die Leitmotive unserer Gesellschaft waren. Unsere Grosseltern wussten das Beste aus dem zu machen, was sie hatten, im Gegensatz zur heutigen Tendenz, immer mehr anzuhäufen, getrieben von attraktiven Preisen, die nicht repräsentativ für die tatsächlichen Kosten dieses Gegenstandes oder dieser Dienstleistung sind.
Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und der aktuellen wirtschaftlichen Zwänge (Inflation und COVID), die zu einem geringeren Konsum anregen, wenden sich immer mehr Menschen an Second-Hand-Plattformen, vor allem für Kleidung. Die Sharing Economy kann sich auch als eine Antwort auf wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen erweisen.
Demokratisiert durch das Aufkommen der Digitalisierung und Online-Plattformen sind die globalen Pioniere dieser Wirtschaft wie Airbnb und Uber wohlbekannt, aber auch lokal sind Dienstleistungen wie Mobilität (Mobility & publibike) und Coworking Spaces (Gotham, Impact Hub, Regus) wachsende und wichtige Akteure dieser Art von Wirtschaft. Es gibt auch lokale und eher soziale Initiativen wie Objektbibliotheken (Manivelle). Im Fall von UBER und Airbnb sahen sich diese Initiativen mit Barrieren und Skandalen konfrontiert (Löhne und Bedingungen der Fahrer, Wohnungsmangel und steigende Mieten in gewissen Städten).
Trotzdem bieten sie aus der Zero Waste Perspektive erhebliche Vorteile:
Nehmen wir das Beispiel Auto: Mit 4,8 Millionen Autos in der Schweiz 1 und einer durchschnittlichen Auslastung von 1,53 Personen pro Fahrzeug 2, scheint das Potenzial für eine Verbesserung der Auslastung durch Fahrgemeinschaften (z.B. Blablacar) klar zu sein. Darüber hinaus bleibt ein Auto 95% der Zeit geparkt 3 was es zu einem sehr relevanten Objekt für Carsharing macht. Dieser Ansatz könnte die Anzahl der Fahrzeuge auf der Strasse reduzieren und so Umweltverschmutzung, Verkehr und Altlasten verringern.
Die Stärke der Sharing Economy liegt in der gegenseitigen Nutzung von Gütern und Dienstleistungen. Eine Bohrmaschine wird im Laufe ihres Lebens durchschnittlich nur 13 Minuten lang benutzt 4. Wenn diese gemeinsam genutzt wird, kann sie mehreren Personen dienen, wodurch die Nachfrage nach neuen Produkten verringert und der Abfall am Ende der Lebensdauer begrenzt wird. Dieses Modell schafft auch Anreize für die Produktion von Qualitätsgegenständen, denn was langlebig und reparierbar ist, ist auch beim Teilen profitabler. Dies führt zu einem neuen Paradigma und einem neu gestalteten Design der Gegenstände5
Auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene ist die Sharing Economy auch eine Antwort auf die Frage der Gleichheit und des “Zugangs für alle”. Sie ermöglicht Menschen mit einem geringeren Einkommen den Zugang zu einer Dienstleistung zu geringeren Kosten. Sie bietet auch praktische Vorteile, wie z. B. Platzersparnis (zu Hause und im öffentlichen Raum = weniger Parkplätze, wenn ein Auto geteilt wird), die Entwicklung von kollaborativen Gemeinschaften und einen breiteren Zugang zu einer Vielzahl von Waren und Dienstleistungen. Darüber hinaus müssen sich die Nutzer keine Gedanken über die mit diesen Gegenständen verbundenen Kosten für Wartung, Reparatur oder Recycling machen..6
Trotz der vielversprechenden Anfänge in den frühen 2010er Jahren ist die Sharing Economy jedoch immer noch eine Randerscheinung in unserem Konsumverhalten. Zu den Hindernissen, die überwunden werden müssen, damit sie florieren kann, gehören Zugänglichkeit, praktische und logistische Aspekte des Verleihs, erschwingliche und wettbewerbsfähige Kosten sowie Sicherheit (z. B. Online-Transaktionen). Initiativen gibt es für verschiedene Kategorien von Waren und Dienstleistungen, von der Vermietung von Kleidung bis hin zur Vermietung von Sportartikeln.
In der Schweiz mit ihrem hohen verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen ist die Frage der finanziellen Kosten des Besitzes weniger vorherrschend als anderswo. Dennoch stellt die kollaborative Wirtschaft in Europa einen Megatrend dar, mit Transaktionen im Wert von 28 Milliarden Euro im Jahr 2016, die sich innerhalb eines Jahres verdoppelt haben und bis 2025 auf 572 Milliarden Euro prognostiziert werden. 7
In einer Zeit, in der Sparsamkeit eine zentrale Rolle in unseren gesellschaftlichen Entscheidungen spielt, kann die Sharing Economy uns ermöglichen, wieder ein vernünftigeres Verhältnis zu unserem Konsum zu finden, ohne dabei an Auswahl und Qualität zu verlieren.
Regelungen und Gesetze müssen weiterentwickelt werden, um die Kreislaufwirtschaft im Allgemeinen zu fördern, mit Vorschlägen wie dem “Recht auf Reparatur”, das es in Frankreich und der Europäischen Union bereits gibt.8 Dieses Recht steht im Mittelpunkt des Kampfes um die Überarbeitung des Umweltschutzgesetzes und wird von dem Kollektiv «Lang leben unsere Produkte» vorangetrieben.9
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Sharing Economy eine bedeutende Chance zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft in der Schweiz darstellt. Sie bietet konkrete Lösungen, um Abfall zu reduzieren, die Qualität von Produkten zu fördern und eine Gemeinschaft zu unterstützen, die sich dem Teilen statt dem Besitzen verschrieben hat. Wir sind oft mehr an der Dienstleistung interessiert, die uns ein Gegenstand besorgt, als an dem Gegenstand selbst. Aus diesem Grund könnte eine allgemeinere Vision, bei der der Schwerpunkt auf dem Zugang zu einer Dienstleistung liegt (Xaas: “Everything as a service”), einen bedeutenden und nachhaltigen Einfluss auf unsere Gesellschaft und unser Konsumverhalten haben. Der Weg ist vorgezeichnet, jetzt müssen nur noch die Hindernisse überwunden werden, um diese Vision zu einer für alle zugänglichen Realität zu machen.
- RTS 2023, « Les trois voitures les plus vendues en Suisse, radiographie d’un marché en pleine transition», 5 September: https://www.rts.ch/info/economie/14287923-les-trois-voitures-les-plus-vendues-en-suisse-radiographie-dun-marche-en-pleine-transition.html ↩︎
- RTS 2023, « Chaque Helvète parcourt en moyenne 30 kilomètres par jour, le plus souvent en voiture», 6 April: https://www.rts.ch/info/suisse/13925929-chaque-helvete-parcourt-en-moyenne-30-kilometres-par-jour-le-plus-souvent-en-voiture.html
↩︎ - Meyer-Vacherand E. 2023, « Voiture électrique, des efforts à fournir sur les bornes privées», Published in Le Temps, 5 August,: https://www.letemps.ch/economie/voiture-electrique-des-efforts-a-fournir-sur-les-bornes-privees ↩︎
- Ellen MacArthur Foundation 2021, « How tool sharing could become a public utility: Toronto Tool Library and Makerspace», 1 December: https://www.ellenmacarthurfoundation.org/circular-examples/how-tool-sharing-could-become-a-public-utility ↩︎
- Wallenstein J. & Shelat U. 2017, « What’s Next for the Sharing Economy?», Published in BCG, 4 October, Available: https://www.bcg.com/publications/2017/strategy-technology-digital-whats-next-for-sharing-economy [2023, November 7] ↩︎
- Bahraini, A. 2023, « Sharing Economy: The Famous Circular Economy Solution», Published in Waste4Change, 24 March: https://waste4change.com/blog/en/sharing-economy-the-famous-circular-economy-solution/
↩︎ - Vie-Publique 2021, « L’économie collaborative : un nouveau modèle socio-économique ?», 9 March: https://www.vie-publique.fr/eclairage/19381-leconomie-collaborative-un-nouveau-modele-socio-economique
↩︎ - Enard L. 2022, « Et si la Suisse favorisait l’économie circulaire?», Published in Terre Nature, 13 October: https://www.terrenature.ch/reparer-au-lieu-de-jeter-notre-pays-veut-encourager-leconomie-circulaire/
* ↩︎ - Lang leben unsere Produkte: https://longuevieanosobjets.ch/ ↩︎